Provence - Kochen im Schafstall

Mons: Ein mittelalterliches Dorf auf einer Bergkuppe. Die Mauern der Häuser aus Sandstein, die Fensterläden blau oder grün. Von hier aus kann man über Land und Meer bis nach Korsika sehen, über Pinienwälder und karge Felsen. Fast eine Woche haben wir nach dem Geheimtipp gesucht. Ihr wisst schon: Dieses eine Restaurant, das noch in keinem Reiseführer steht, wo die Einheimischen Essen gehen, wo auf dem Herd ein Eintopf blubbert, es nach Kräutern und Gewürzen duftet und es nur ein Menü gibt, gekocht von einem hutzeligen Großmütterchen. Wir finden etwas Besseres: L’artisane von Fabienne Sitri.

Die Köchiin Fabienne Sitri.

Nichts besseres hätte uns passieren können, als einen Tag mit Fabienne zu verbringen.

In einem alten Schafstall hat die Köchin ein kleines Paradies eingerichtet. Hier lädt sie zum hausgemachten Essen ein, veranstaltet Kochkurse, backt Brot oder empfängt zum Tee. Geöffnet ist nur Mittwoch und Freitag, auf Reservierung Samstagabend. Fabienne nimmt uns sofort in ihren Bann. Sie hat ein grünes Kopftuch um ihr Haar geschlungen, an einem Ohr baumelt eine Kreole. Die Augen sind mit schwarzem Kajal umrandet. „Bienvenue“, sagt sie strahlend. Kommt herein. Wir fühlen uns sofort wohl. L’artisane ist wie ein Wohnzimmer, in der Mitte steht ein großer Tisch mit einem Blumenstrauß, in den Regalen Bücher, Marmeladengläser, Mehl, Teller und sehr viele Töpfe in allen Größen. Auf dem Herd kocht in einer Pfanne eine grüne Flüssigkeit. „Ein Chutney aus grünen Tomaten, die kauft hier keiner, also koche ich sie ein“, erklärt Fabienne. “Aber jetzt nehmt erstmal Platz.” Sie führt uns in eine Ecke mit Teppichen, kleinen Sesseln und bunten Lampen und serviert einen Tee aus Kräutern, die sie in den Bergen gesammelt hat. „Diese Kräuter wachsen im Sommer und speichern ganz viel Sonnenlicht, wenn man sie trocknet und an kalten Tagen trinkt, er wärmt von innen.“ Mit großen Augen schauen sich die Kinder um. Sie sind fasziniert und trinken ihren Tee, obwohl sie das sonst nie tun.

Die Kinder sind fasziniert - und wir auch

Fabienne erzählt: „Ich wollte immer ein Restaurant aufmachen, schon als ich ein kleines Mädchen war. Damals habe ich den anderen immer Gänseblümchen serviert und so getan, als wären es Spiegeleier. Meine Mutter kommt aus Marokko, meine eine Oma aus Italien, die andere aus der Türkei. Ich habe mediterrane Wurzeln, also koche ich auch mediterran.“ Aufgewachsen ist Fabienne in Marseille. Sie hat erst Jura studiert, bis sie sich traute, Köchin zu werden und eine Ausbildung zu machen. Dann bereiste sie die ganze Welt, war in Indien und lebte mehrere Jahre in Marokko.

Geknetet und geformt von Kinderhänden: Unser Mittagessen.

Genug geredet, jetzt wird gekocht. Fabienne legt zwei Kürbisse auf den Tisch und reicht den Kindern Messer. Sie dürfen das Fruchtgemüse kleinschneiden. Auch Jakob hantiert mit einem scharfen Messer und schneidet seinen Kürbis in winzige Spalten. Er ist sehr stolz. Fabienne wirft den Kürbis mit vielen Zwiebeln und Kräutern in eine Auflaufform. Die Knoblauchzehen kocht sie vorher und gibt sie zusammen mit dem Kochwasser, das nach Knoblauch riecht, zum Kürbis. Dann ab in den Ofen damit. Sie knetet Teig mit den Kindern. Das Mehl kommt von der Mühle nebenan. Wir machen Fougasse, ein provenzalisches Brot. 

Wir arbeiten mit den Händen

Dann gibt sie den Kindern eine Schüssel, darin ein Teig aus Kürbis und Mehl für Gnocchi. Fine, Lotti und Jakob rollen kleine Kunstwerke, mit einem Faden drücken sie Rillen hinein, obendrauf setzen sie eine kleine grüne Kugel aus mit Matchapulver gefärbten Teig. Fertig sind die Kürbisgnocchi, die auch noch aussehen wie kleine Kürbise.

Die Vorspeise ist angerichtet. Die Kinder stürzen sich darauf.

„Ich muss die Lebensmittel spüren,“ sagt Fabienne. „Ich muss wissen, woher sie kommen.“ Sie kennt jeden Hersteller und verwendet nur lokale Produkte. Vieles pflanzt sie selbst an. Sie gibt uns eine Schüssel mit verschiedenen Salaten. „Die habe ich heute morgen alle gepflückt.“Wir probieren die Blätter. Violetter Ruccola, Mangold, Senfblätter. So frisch und mit so intensivem Geschmack habe ich selten etwas gegessen. „Meine Philosophie ist es, den Jahreszeiten zu folgen, denn die Natur gibt uns das, was wir brauchen. Zu jeder Zeit. Das ist sehr wichtig. Und ich möchte alles selbst machen mit meinen Händen und meinem Herzen.“

Anna Hemminger und Fabienne Sitri im Interview

„Es gibt so viel Wissen, ursprüngliches Wissen, heilendes Wissen. Jeder hat es in sich. Und es droht verloren zu gehen in der heutigen Zeit.” Fabienne Sitri.

Ich könnte Fabienne stundenlang zuhören und zuschauen, mit welcher Ruhe sie kocht, schneidet und spricht. Hier ist nichts hektisch, nichts schnell. Fabienne nimmt sich die Zeit, die sie braucht. Erstaunlicherweise färbt das auch auf die Kinder ab, sie quengeln nicht, ihnen ist nicht langweilig. Sie machen einfach mit und das stundenlang.

Ein ganz besonderer Wein

Fabienne reicht uns eine Weinflasche. „Was ist das?“, frage ich. „Das ist Wein aus einer violetten Blüte, die ich in meinem Garten anpflanze. Ich mische die Blüten mit Alkohol, der aus Trauben hergestellt wurde. Keine Sulfite. Und diese Blume öffnet das Herz und bringt Süße hinein. “Wollt ihr probieren?”. Klar wollen wir das. Der Wein schmeckt fruchtig, süß, aber nicht unangenehm, wie ein leichter Likör. „Woher hast du das Rezept?“, will ich wissen. “Es ist von einer Freundin, einer Kräuterhexe”, sagt Fabienne und lacht. Dann wird sie ernst: „Es gibt so viel Wissen, ursprüngliches Wissen, heilendes Wissen. Jeder hat es in sich. Und es droht verloren zu gehen in der heutigen Zeit.”

Der Tisch ist mit selbstgemachten Köstlichkeiten gedeckt. Die Kinder essen alles - nun gut, bis auf den Salat und die Soße aus Blauschimmelkäse.

Wir decken gemeinsam den Tisch. Zu Beginn gibt es ofenwarme Fougasse, die wir in Olivenöl tunken. Natürlich kommt es aus Fabiennes eigenen Oliven, ist grün, scharf und pfeffrig. Fabienne serviert das duftende Kürbisgemüse und stellt die kunstvollen Gnocchis dazu.Die Kinder träufeln selbstgemachte Salbeibutter darüber. Wir Erwachsenen nehmen eine Sauce aus Blauschimmelkäse. Dazu gibt es Salat. Es ist ein einfaches, klares Essen. Gleichzeitig schmeckt es so intensiv und komplex. Patrick und ich kauen langsam und bedächtig, wollen den Augenblick genießen. Bei einer Tasse türkischen Kaffees sitzen wir später alle draußen, in den Bergen von Mons. Die Kinder rennen herum und spielen. Alle sind satt, zufrieden, glücklich. Wir wollen in diesem Moment nirgendwo anders sein.

Das Dörfchen Mons. Ein Ort, nah am Ende der Welt.

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Provence - Kais kleines Paradies