Reichtum im Roussillon - Ça suffit!
Schmale Häuser, verwinkelte Gassen und ein verwilderter Bouleplatz – wir mögen Caramany von Anfang an. Das Dorf hat nur 120 Einwohner und liegt im Roussillon, in den Ausläufern der Pyrenäen. Wir haben ein Haus mittendrin gemietet, direkt am winzigen Place du village mit der großen Platane. Von der Dachterrasse sehen wir die Kirche und die umliegenden Berge, hören die Uhr stündlich schlagen, ansonsten ist Stille.
Caramany. Viel ist hier nicht. Und doch ist alles da.
Viel gibt es nicht zu entdecken, denken wir zumindest. Es gibt keine Geschäfte, keinen Bäcker, das Restaurant mit Aussichtsterrasse ist verrammelt. Ein alter Hund kläfft uns lahm an, bevor er sich wieder fallen lässt. Und dann kommt alles ganz anders. Denn gleich zwei Häuser neben unserem hat Kristof seine Bar. Café Karton heißt der Laden, der so unscheinbar ist, dass wir beim ersten Mal fast vorbeilaufen. Draußen weist lediglich ein Schild Snack auf das Café hin.
Und dann sitzen wir zum ersten Mal bei Kristof am Tresen, etwas älter als wir, Dreitagebart, tätowierte Arme und aufgeknöpftes Hemd. Er verkauft ausschließlich Naturwein und Craft Beer. Das versteht nicht jeder im Dorf, sagt er, das sei ihm aber egal. Der Petit Rosé ist göttlich. Für die Kinder hat Kristof einen Saft oder Drachenfruchtlimonade. Jakob ist begeistert und will die nächsten Tage nichts mehr anderes trinken. Essen gibt es auch bei Kristof, aber nur auf Vorbestellung. Sein Herd ist direkt hinter dem Tresen.
Kristof hat etwas eigenwillige Öffnungszeiten. Wenn auf ist, ist auf. Wenn zu ist, ist zu.
Wo er kochen gelernt hat, fragen wir. Kristof serviert uns noch ein Gläschen Rosé und erzählt. Er ist in den Banlieues in Paris aufgewachsen. Damals gab es noch keine Handys. Wenn er seine Freunde besuchen wollte, musste er vorbeigehen und klingeln. Meist waren die Mütter da, die gerade am Herd standen. Kristof schaute ihnen oft beim Kochen zu. Es faszinierte ihn, mehr als alles andere. Zuhause schrieb er die Rezepte auf. “Senegal, Marokko, Algerien, Italien und Japan, da war alles dabei,“ grinst er. Zwei dicke Rezeptbücher sind zusammengekommen. „Die benutze ich immer noch.“ Französisch kocht Kristof nie, jede Woche ist ein anderes Land dran.
Heute ist italienische Küche angesagt
Wir sind neugierig und reservieren für den nächsten Tag. Als wir kommen, hat Kristof die kleinen Tische zusammengeschoben und schön gedeckt. Er serviert Tagliatelle mit Huhn und Sahnesauce, dazu frische Kräuter. Italienische Woche, sagt er. Die Kinder finden es lecker, rennen aufgedreht durch die Bar, während wir mit anderen Gästen ins Gespräch kommen. Ein älterer Herr berichtet von der Wildschweinjagd. Erst letztes Wochenende seien im Nachbardorf 20 Tiere geschossen worden. Patrick ist neugierig. Nächste Woche will er unbedingt mit auf die Jagd gehen. (hier findet ihr den Artikel). “Hier gibt es alles, sagt Kristof, wir haben die Natur, meine Kinder können in Ruhe aufwachsen, Brot und Gemüse werden einmal die Woche geliefert, Wein wird in den Dörfern rundherum gemacht. Ça suffit! Es reicht.“
Der Wein ist fast ausverkauft, Lucille zapft uns ein paar Fassproben.
Er hat so recht. In Caramany gibt es alles. Der Gemüsemann kommt am Samstag, parkt auf dem kleinen Platz direkt vor dem Haus, hört laut Opern- oder Jazzmusik und wartet auf Kundschaft. In unserem Nachbarhaus lebt der kanadische Winzer Charles Gauthier-Marcil, der perfekt Deutsch spricht, weil er in Berlin Philosophie studiert hat. Seine Freundin Lucille, die in Perpignan ein Fischrestaurant betreibt, führt uns durch das Weingut L´atelier vigneron in den Keller. Windhund Walther (nach Walther Benjamin benannt) umtänzelt uns dabei. Es riecht nach Most. “Leider ist uns gestern ein Petit Naturelle explodiert", lacht Lucille. Das kann durchaus passieren, wenn man mit Kohlensäure arbeitet. Lucille lässt uns einen Naturwein nach dem anderen probieren. Dafür steigt sie auf die Holzfässer, öffnet sie und saugt mit einer unterarmlangen Pipette einen Probierschluck des fast fertigen Weins hinaus. Schon jetzt schmeckt er großartig.
Hinter diesem unscheinbaren Tor finden wir großartige Weine.
Am Wochenende ist Naturweinfestival in Montner ein paar Dörfer weiter. Kristof aus dem Café hat uns dazu eingeladen. Naturwein, das sind Weine, die so natürlich wie möglich hergestellt werden. Der Anbau ist biologisch oder biodynamisch, es gibt keine Zusätze wie beim herkömmlichen Wein. Dafür muss im Weinberg sehr präzise gearbeitet werden. Hier im Roussillon gibt es viele Naturweinwinzer. Die Nachfrage ist groß und durch die Trockenheit und den Wind ist es einfach, im Weinberg auf Spritzmittel zu verzichten. Feuchtigkeit macht Trauben anfällig für Pilze.
Nette Menschen und gute Weine - immer eine herrliche Kombination.
In Bergdorf Montner haben rund 20 Winzerinnen und Winzer vor der Kooperative alte Fässer aufgestellt. Darauf die frisch abgefüllten Flaschen. Vom Petit Naturelle, über Rosé und Rotwein bis hin zum abgefahrenen Orangewein, kann man alles probieren. Gitarrenklänge wehen über den Platz, Die Kinder holen sich am offenen Feuer geröstete Maronen und erkunden die Gegend, während wir uns rauschend unterhalten. Zum Beispiel mit Perrine Loeuilleux vom Winzerinnen-Kollektiv Gypsy Queen. Oder mit der deutschen Winzerin Franziska, die mit ihrem belgischen Mann in Montner drei Hektar bewirtschaftet. Als es dunkel wird, ziehen alle auf einen anderen Platz um. Dort sind unter bunten Lampions, Tische und Bänke aufgestellt. Wir essen Eintopf von Kristof, die Kinder Pommes und Würstchen. Um uns herum, Lachen, Gespräche, Musik. Und ein Marionettenspieler, der ein kleines Stück aufführt. Obwohl Jakob nichts versteht, lacht er so sehr, dass er fast vom Stuhl fällt.
Mehr braucht es nicht zum Leben, oder ça suffit, wie Kristof sagt, der uns von seinem Stand aus zuwinkt.
Ça suffit!