Provence - Kais kleines Paradies

 Unsere Ankunft in der Provence beginnt mit einem Desaster: Wir stecken fest. Das Navi hat uns auf dem schnellsten Weg zu unserer nächsten Unterkunft geschickt, geradewegs in die engen Gassen des Bergdorfes Tourrette. Die mittelalterlichen Häuser sind wunderschön, doch wir haben keinen Blick dafür. Links und rechts Mauern aus Sandstein, wir klappen die Seitenspiegel ein. Dann stehen wir vor der Kirche aus dem 12. Jahrhundert. Rechts versperrt ein Auto den Weg, links geht es gefühlt in den Abgrund. Ich könnte nur noch schreien und tue es auch. „Hilfe, Patrick, wo sind wir hier?“ Und er? Gibt Gas und wählt den linken Weg. Ich schließe die Augen, unser Bus schrammt an der Mauer lang, dann geht es nach unten und wir haben es geschafft.

Blick auf unser Haus in der Provence beim Dorf Fayence

Unser neues Zuhause für die kommenden Tage. Ankommen, auspacken, wohlfühlen.

„Das macht das Navi immer so,“ sagt Kai Kreuzer als wir endlich in den Terrassenhängen oberhalb von Fayence angekommen sind. Hier liegt die „Ecogite“, das Ökoferienhaus, in dem wir eine Woche wohnen dürfen. Kai ist der Onkel meines Cousins. Er hat sich hier in der Provence seinen Traum verwirklicht. Eine ökologische Begegnungsstätte, in der der ehemalige Journalist andere Menschen von Sonnenenergie, Biolandwirtschaft und gesunder Ernährung überzeugen will.

Beim morgendlichen Melken ist immer ein bisschen Zeit für Streicheleinheiten.

Denn all die Punkte sind nicht selbstverständlich in der Gegend. „Viele reden nur davon, machen aber nichts,“ sagt Kai bei einer Tasse Kürbissuppe in seiner Küche. Dazu gibt es frische Feigen vom Baum und Walnüsse, auf die sich die Kinder stürzen. Mit seinen Solarzellen kann Kai sein ganzes Haus und das kleine Ferienhaus mit Strom versorgen. Sogar mehr als das: Er hat fünfmal so viel Energie, wie er braucht. Durch die Biolandwirtschaft hat er ausreichend Gemüse für das ganze Jahr. Seine Schafe machen Landschaftspflege und die Hühner legen fleißig Eier.

Fürs Leben lernen: Fine melkt ein Schaf.

In den nächsten Tagen sollen wir mithelfen. Das ist das Prinzip der Plattform Workaway, über die Kai immer wieder Helfer bekommt. Wir dürfen umsonst wohnen, wenn wir mit anpacken. Um acht Uhr morgens geht es los mit Hühnermist und Schafkötteln. Wir stehen vor den korsischen Steinschafen Tilia, Tina, Juki und wie sie alle heißen - die Kinder wissen ihre Namen sofort - und werden von Luzimann in den Po gerammt. “Das macht der immer so,” beschwichtigt Kai und tritt dem Bock zwischen die Hörner. “Das ist das Testosteron.” Die Kinder dürfen melken und Eier einsammeln, wir Eltern machen das Gehege sauber. Danach geht es zu einem Spaziergang durch die Terrassen.

Dafür stehen die Kinder morgens freiwillig auf: Sie führen eine halbe Stunde die Schafe spazieren, bevor sie das Leitschaf an einem Baum festbinden.

Patrick baut mit Jakob ein Dach für einen neuen Gartenschuppen. Ich verlege zusammen mit Kai und der Workawayerin Sarah aus Paris einen Fußboden. Erstmal mit Zement die Unebenheiten ausgleichen, Steine zurechtsägen, dann nach römischem Muster anordnen. Die Arbeit geht nur langsam voran und mit jedem Stein wächst der Respekt vor Menschen, die das jeden Tag machen. Die Kinder rennen fröhlich mit den Schafen umher, führen sie zu köstlichen Blättern und Olivenzweigen. Am Ende der Woche pflanzen wir alle gemeinsam einen Mirabellenbaum. Ein schöner Moment. 

Die Kinder lernen: Landwirtschaft ist viel Arbeit

Von all der Arbeit bekommen wir Hunger. Wir suchen nach Geheimtipps in der Gegend. Provenzalische Restaurants, wo es nach Lammkotelettes, Knoblauch und Ratatouille duftet. Nach Familien-Auberges, wo die Rezepte von Generation zu Generation weitervererbt werden. Doch wir werden nicht fündig. Auf den Karten stehen Klassiker wie Salat mit gebratenem Ziegenkäse, Risotto oder gegrillter Thunfisch. Und das unvermeidliche Steak Haché für die Kinder. Dafür sind wir nicht in die Provence gefahren.

Gemeinsam wird geschnippelt und gegessen.

Zum Glück lädt Kai zum “Repas à Partager” ein, was übersetzt geteilte Mahlzeit bedeutet, ein üblicher Brauch in Frankreich. Im Garten steht eine große Tafel. Jeder bringt was mit und man bereitet es gemeinsam zu. Heute haben sich drei Familien versammelt. Die Kinder flitzen umher, die Eltern unterhalten sich. Wir schüren ein Feuer aus abgeschnittenen Olivenzweigen und Brennholz. Die Flammen schlagen hoch, während es langsam dunkel wird. Wir schnippeln Zucchini, Auberginen, Paprika, Kürbis und jede Menge Knoblauch klein. Für die Kräuter greifen wir einfach neben uns, zupfen Thymian und Rosmarin ab und werfen die Blätter dazu. 

Nette Menschen und gutes Essen - so fühlt sich Glück an

Als die Flammen kleiner werden, stellen wir dreibeinige Eisengestelle in die Glut, darauf kommen riesige Pfannen mit dem Gemüse und den Kartoffeln. Schon bald zieht ein köstlicher Duft durch die Terrassen. Dazu gibt es Baguette mit Tapenade, Tomatensalat aus gelben, roten und violetten Früchten und Taboulé. In diesem Moment vermissen wir kein Restaurant dieser Welt. Später bringt Kai noch seine Gitarre ans Feuer. Ein Workawayer hat sie ihm geschenkt. Seitdem hofft er darauf, dass jemand darauf spielt.

Lotti meldet sich. Sie hat zuhause in Bernried ein paar Gitarrenstunden gehabt. Ganz zart zupft sie die Seiten. Die Flammen knistern, die Sterne leuchten, wir schweigen und sind erfüllt.

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Provence - Kochen im Schafstall

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