Komninades - Von Bären und Morcheln

“Da!”, Kostas deutet auf einen großen Tatzenabdruck im Schlamm vor uns. “Ein Bär!” Es hat viel geregnet in den vergangenen Tagen, der Boden ist weich. Nervös blicken wir uns um. “Ist zwei Tage alt”, beruhigt er uns. “Und schaut mal hier: Wolf, Hirsch, Wildschwein, Fuchs. Alle kamen hier durch.” 

Eine Bärenspur im Norden Griechenlands

Da war er, der Bär!!

Wir sind eigentlich zum Morcheln sammeln hier, aber einen Blick auf so ein wildes Tier, das hätte schon was - aus der Entfernung natürlich. Aber wir finden nichts, keine Morchel und erst recht keinen Wolf oder Bär.

Unsere Zeit in Griechenland geht zu Ende, wehmütig denken wir an all die wunderbaren Orte die wir gesehen und die wunderbaren Menschen, die wir getroffen haben. Unsere letzte Station ist Komninades, Albanien ist von hier aus schon zu sehen.

Kostas erklärt den Kindern die Natur

Kostas ist oft und gerne in der Natur unterwegs. Er zeigt und erklärt den Kindern vieles.

In diesem Dorf hat Anestis, der uns so viele Türen und Tore in Griechenland geöffnet hat, gemeinsam mit seinem Freund Kostas ein kleines Weingut. Dort dürfen wir für ein paar Tage bleiben. Es dämmert bereits, als wir ankommen. Die Landschaft ist einsam und verlassen, das Dorf ebenfalls. Einst lebten hier ein paar hundert Menschen, 30 sind noch übrig. Mitten im Ort liegt das Haus von Kostas Großvater, Abrahams Garten. Kostas hat es liebevoll restauriert.

Kaum sind wir da, beginnt Kostas zu wirbeln. “Anestis hat gesagt, es kommen Freunde”, begrüßt er uns. Er kocht die griechische Variante von Risotto - er nimmt dazu kleine Nudeln statt Reis - mit frischen Morcheln und wirft den Grill an. Dazu entkorkt er ein paar Flaschen der Weine, die er mit Anestis gemeinsam macht. Der Weinberg liegt gleich hinter dem Dorf.

Kostas und Anna vor dem Grill in Abrahams Garten

Kennen wir uns wirklich erst seit ein paar Minuten? Es ist, als ob wir mit einem alten Freund am Grill stehen.

Die Kinder flitzen durchs Dunkel, lachen und spielen. Wir sitzen am Grill und Kostas erzählt. Er hat lange Zeit in Nürnberg gelebt und kam 2011 nach Griechenland zurück. “In Deutschland gehen die Menschen zur Arbeit. Dann einkaufen, einkaufen ist ganz wichtig in Deutschland, dann essen sie zu Abend und dann ab aufs Sofa vor den Fernseher”, sagt er. Ganz ankommen, das tat er in Deutschland nie. Immer fühlte er sich fremd, oft beobachtet. Von anderen Menschen, obwohl er sich nie etwas zuschulden kommen ließ, auch von der Polizei. “Aber wenn die vier Autos hinter mir gefahren sind, dann bin ich sofort nervös geworden”, sagt er.

“Warum war das eigentlich so?”, fragt er sich heute. “Ich weiß es nicht.” Auf jeden Fall kam er zurück nach Griechenland - und blühte auf. Heute studiert Kostas Archäologie, spielt Theater, betreibt eine Weinbar, macht mit Anestis Wein und organisiert hier in Abrahams Garten kulinarische und kulturelle Abende. “Für das, was ich hier in Griechenland in zehn Jahren gemacht habe, hätte ich in Deutschland 200 gebraucht”, sagt er.

Das Weingut Abrahams Garten in Komninades

Abrahams Garten - ein kleines Paradies, hier im einsamen Norden Griechenlands.

Am nächsten Vormittag geht er mit uns ins Kafenion von Komninades. “Ich dachte, da gehen nur Männer hin?”, fragt Anna. Kostas lacht schallend. Die Terrasse des Kafenions ist mit dicker, durchsichtiger Plastikfolie gegen den kalten Wind geschützt. Und natürlich sitzen hier nur Männer. Die aus dem Dorf und die, die längst in die eine halbe Stunde entfernte Stadt Kastoria gezogen sind. Auch Kostas lebt dort die meiste Zeit, betreibt eine großartige Weinbar. Die Männer im Kafenion rauchen, trinken Kaffee und Tsipurio, gegen den kleinen Hunger bestellen sie Gemüseteller. Ein Freund von Kostas taucht auf, drückt Anna eine Tüte mit verschiedenen Hülsenfrüchten in die Hand. “Er macht hier seit 20 Jahren Bioanbau von Erbsen, Bohnen, Linsen und so. Ich hab ihm gesagt, was ihr macht und dass er euch mal was mitbringen soll”, sagt Kostas.

Zurück in Abrahams Garten hat Kostas Hunger und Durst. Wir auch. Und so sitzen wir da, essen den Rest vom Grillfleisch von gestern auf und trinken Tsipuro, den Kostas, verdünnt mit Wasser, in große Gläser geschenkt hat. Diese Gewohnheit, Hochprozentiges als Aperitif zu nehmen, ist nicht so ganz meine Sache. Aber gut, passe ich mich eben den lokalen Sitten an. 

Anna Hemminger vor dem Holzbackofen in Abrahams Garten

Da kommt gleich unser Mittagessen rein. Anna freut sich.

Zeit zum Plaudern. Kostas Großeltern stammten aus der Pontos-Region und mussten 1922, nach dem Griechisch-Türkischen Krieg, ihre Heimat am Schwarzen Meer verlassen. Damals flohen rund eineinhalb Millionen Menschen aus ihrer Heimat. Einige von ihnen fanden in Komninades eine neue Bleibe. Auch wenn Kostas mittlerweile ein Haus in Kastoria besitzt und dort eine Weinbar betreibt, zieht es ihn immer wieder in das kleine Dorf zurück.

Kostas feuert nebenbei den Holzbackofen an, seine Mutter bereitet in der Küche Kartoffeln und Teile von der Ziege vor. Der Nachmittag plätschert so vor sich hin. Anestis, unser Freund aus Thessaloniki, hat sich uns inzwischen angeschlossen. Gemeinsam sitzen wir neben dem Holzbackofen, lachen und reden und trinken Wein, während das Essen langsam fertig wird.

Menschen in den Straßen von Komninades

Ein kleiner Spaziergang vor dem Essen heizt den Hunger an.

Irgendwann wirft Kostas einen Blick auf das Ziegenfleisch. Er lacht und murmelt irgendwas Unverständliches auf Griechisch. “Das dauert wohl noch eine Weile”, sagt er, entkorkt noch eine Flasche Wein und verschwindet in der Küche. Bald darauf taucht er wieder auf, in den Händen Teller mit frittierten Auberginen und Rührei mit frischen Morcheln. “Damit überbrücken wir die Zeit, bis die Ziege fertig ist”, sagt er.

Um fünf Uhr nachmittags ist es soweit. Die Kartoffeln sind knusprig, das Ziegenfleisch so zart, dass es fast vom Knochen fällt. Gefräßige Stille legt sich über unsere kleine Gesellschaft, unterbrochen nur ab und an von wohligen Seufzern und Grunzern.  

Anestis Haitidis und Anna Hemminger sitzen auf einem Sofa

Anestis ist ebenfalls gekommen, wir sind eine große, fröhliche Runde von Genussbegeisterten.

“Jetzt werden die Bären bald wieder aktiv", sagt Kostas. Nun könnten wir nochmal losgehen und uns auf die Lauer legen. Aber dafür sind wir viel zu satt. Wir bleiben einfach sitzen, trinken, erzählen und genießen die Gemeinschaft. Das ist es, worum es geht: Ums Teilen, ums Beisammensein, ums Austauschen von Erzählungen, Erinnerungen und Geschichten. 

Und als es für uns dann  soweit ist, Griechenland zu verlassen, sind wir alle traurig. Wir umarmen alle, können unseren Dank kaum in Worte fassen. Wir winken, bis Kostas Gestalt hinter den Mauern von Abrahams Garten verschwunden ist.

Dann geht es zur albanischen Grenze. Auf, ins nächste Abenteuer!

Kostas in seiner Weinbar in Kastoria

Danke für alles Kostas, du wunderbarer Mensch! Wir sehen uns wieder, da sind wir uns sicher.

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Albanien - gestrandet in der Millionenstadt Tirana

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Geheimtipp Thessaloniki - Essen bis Sonnenuntergang