Leinen los - unterwegs auf dem Hausboot. 

Ich bin völlig fertig mit den Nerven. “Seile aufrollen!”, belle ich Richtung Bug, wo Anna und Fine erschöpft auf der kleinen Bank sitzen. Vor ihnen liegt ein Haufen verhedderte Seile. Das Tor geht auf und Wind bläst uns entgegen. Wellen schlagen gegen das Boot. Wir haben es geschafft, hinter uns liegt unsere erste Schleuse.

Wir trinken Champagner an Bord unseres Hausboots von Locaboat auf dem Canal du Centre

Da wir gerade aus der Champagne kommen, stoßen wir an Bord erstmal auf die kommenden elf Tage an.

Elf Tage sind wir nun auf dem Canal du Centre und den Flüssen Saône und Seille unterwegs. Und zwar mit der freundlichen Unterstützung von Locaboat, einem Vermieter von Hausbooten. Die Schiffchen sind so schwach motorisiert, dass man sie auch ohne Führerschein fahren darf. Im Hafen gibt es eine zehnminütige Fahrstunde und schon lässt man uns aufs Wasser. 

Wir wollen herausfinden wie das so ist, wenn der Radius extrem eingeschränkt ist. Wenn alle kulinarischen Erlebnisse in Laufweite vom Boot sein müssen. Sonst setzen wir uns für den nächsten Restaurantgeheimtipp oder dem schönsten Markt der Region gerne ein Stündchen und mehr ins Auto - und nun? Was werden wir alles verpassen? Was entdecken?

Große Nervosität vor dem ersten Ablegen.

Nun gut, erstmal müssen wir das mit dem Steuern und mit den Schleusen richtig hinbekommen.

Dabei begann vor einer Stunde alles mit einem Fehlstart. Bei strahlendem Sonnenschein und kräftigem Wind wollen wir zum ersten Mal die Leinen von unserem kleinen Boot lösen, da schiebt sich ein altes, großes Flussschiff namens Matilda an uns vorbei. “Die erste Schleuse ist zu klein für euch beide, ihr müsst eine halbe Stunde warten”, sagt die freundliche Mitarbeiterin von Locaboat. Die Mädchen sind stinksauer, Kabinentüren knallen.

30 Minuten später ist es dann endlich soweit: Leinen los! Langsam steuere ich das Schiff aus seinem Liegeplatz und auf die erste Brücke zu. Jakob steht mit mir oben am Steuerrad. “Achtung Papa, Kopf einziehen!”, ruft er. Zum Glück! Vor lauter Aufregung hätte ich das fast vergessen.

Ich kurbele wild am Steuer

An und für sich ist es nicht schwer, so ein Schiff zu lenken. Am Anfang machen einem trotzdem drei Dinge zu schaffen, die man so vom Autofahren nicht kennt: 

  1. Das Schiff dreht sich mit dem Hintern zuerst. Denn dort ist das Ruder

  2. Es braucht drei Sekunden, bis es reagiert.

  3. Man muss gegenlenken.

Locaboat Hausboot in Frankreich auf dem Canal du Centre

Willkommen an Bord. Unser neues Zuhause ist gerade mal zwölf Meter lang und urgemütlich.

Und deshalb kurbele ich die ersten Meter - ehrlich gesagt fast den ganzen ersten Tag - ziemlich viel und ziemlich wild am Steuer herum. Dazu kommt an fieser Wind, der die Saint Jean de Losne wild von links nach rechts drückt. Von der ersten Brücke sind es zwei, dreihundert Meter bis zur ersten Schleuse. Doch was ist das? Da drin steckt doch immer noch die dicke Matilda! So vorsichtig wie möglich bugsiere ich uns dahinter. Ganz schön eng nun in der Schleuse. Zum Glück sind die beiden Menschen, die den alten Flusskahn fahren, wahnsinnig nett. Ein älteres Ehepaar aus Australien, das den Sommer auf dem Boot auf den Kanälen Frankreichs verbringt. Wird es hier kalt und ungemütlich, machen sie die Matilda für ein halbes Jahr fest und fliegen in den australischen Frühling.

Wir sind Glückspilze

“Mit der Schleuse ist was nicht in Ordnung”, sagt der Mann. “Wir haben schon Bescheid gegeben.” Was haben wir doch für ein Glück! Wir hätten nicht gewusst, was zu tun ist. Nach der Schleuse lassen uns die Australier vorbei. Hätte ich auch gemacht.

Obwohl der Wind pfeift, der Himmel grau und die Temperatur kühl ist, sind alle fünf an Deck. Mit gemütlichen sechs Stundenkilometern tuckern wir den Kanal entlang. Wir durchqueren kleine Weiler und Wälder, linker Hand ziehen Weinberge vorbei. Von Schleuse zu Schleuse klappt es besser. Da wir abwärts schleusen, können wir bequem hineinfahren. Anna und Fine springen raus, legen an Bug und Heck zwei Seile um die Poller. Eine löst dann die automatische Schleuse aus, beide kommen zurück an Bord. Rasch sinkt das Wasser. Sind wir auf dem unteren Niveau angekommen, öffnet sich das Tor. Wir holen die Seile ein und fahren weiter. 

Für heute Abend ist Chagny unser Ziel. Die kleine Stadt hat kulinarisch einiges zu bieten, bis hin zum berühmten Dreisterner “Maison Lameloise”. Aber an diesem kalten und windigen Abend hat alles geschlossen. Wir kehren zurück an Bord und ich koche Nudeln mit Tomatensoße. Sanft lässt der Wind unser Boot in dieser Nacht schaukeln, wir schlafen herrlich.

Draußen ist es kalt, windig und nicht gerade romantisch. An Bord ist es dafür umso gemütlicher.

In der Nacht hat der Wind alle Wolken fortgeblasen, die Spätsommersonne strahlt vom blauen Himmel. Elf Schleusen liegen heute vor uns und wir sind wild entschlossen, diese ganz und gar fabelhaft zu meistern. Lotti setzt sich neben mich und während ich steuere, wiederholen wir gemeinsam das komplette Einmaleins. Bei acht mal acht kommt die erste Schleuse in Sicht und beendet den Schultag für heute. Denn so wird es nun weitergehen: Schleuse - kurze Fahrt von höchstens 20 Minuten - Schleuse.

Der erste kulinarische Höhepunkt

Der erste kulinarische Höhepunkt der Bootstour ist die Mittagspause. Wir decken den Tisch an Deck mit all den Köstlichkeiten, die ich vor der Abfahrt in Saint-Léger-sur-Dheune gekauft habe. Baguette, Paté, Ziegenkäse von jung bis alt, frische Feigen, bunte Tomaten von alter Sorten, dazu ein Petit Blanc - ein Glas frischen, einfachen Weißweins, wie man es in jeder Bar hier bekommt.

Mit neuem Schwung geht es danach in die nächsten Schleusen. Lotti möchte nun auch helfen. Rausspringen, Seile festmachen, Schleuse auslösen und so. Schon bald ist es soweit. Lotti springt - aber statt die Seile in Empfang zu nehmen, kniet sich sich auf den Boden und starrt verzückt in das Gestrüpp neben der Schleuse. “Lotti!”, rufen Anna und ich gleichzeitig, Fine verdreht die Augen. “Was denn?”, fragt unsere Mittlere. “Da war eben eine Eidechse Mama.” Ach so…

Die Langsamkeit ist das Ziel

Kilometer haben wir an diesem Tag nicht viele geschafft, als wir gegen sechs Uhr abends in dem kleinen Örtchen Fragnes festmachen. Aber nach zehn Schleusen - Nummer elf machen wir morgen - wollen wir nicht mehr weiter. Neben uns liegen Roberto und Ursula mit der “La Fenice”. Sie leben eigentlich in München, aber das Boot ist ihr zweites Zuhause. “Es geht beim Hausboot nicht darum, Strecke zu machen”, sagt Roberto. “Es geht darum, die Langsamkeit zu genießen.” Wie recht er damit hat, werden wir noch lernen…

Neben uns liegt das Boot von Roberto und Ursula. Von ihm lernen wir eine wichtige Lektion. "Genießt die Langsamkeit."

Die Kinder fordern nach einem Tag an Bord einen Besuch auf dem nahen Spielplatz. Eine Stunde lang rennen und toben sie, fangen und jagen uns über ein riesiges Klettergerüst in Form eines Segelschiffes. Wir beschließen, das Leben so zu nehmen, wie es kommt. Keiner hat Lust auf Bordküche und am Hafen liegt ein kleines Restaurant, das Fleur de Sel. Wir bekommen einen Tisch ganz vorne mit Blick auf den Hafen, wo in der Dämmerung die Schiffe still auf dem Kanal liegen.

Schnecken und Pinot Noir

Natürlich entscheiden Anna und ich uns für das Menü regional. Schneckenfrikassée, gefolgt von Kalbsbrust und abgeschlossen mit gebratenen Feigen. Der Patron empfiehlt dazu einen Pinot Noir aus dem nahen Santenay. Die Kinder bekommen etwas zum Malen und wir reden alle fünf begeistert und erschöpft über diesen Tag, die Schleusen und das, was uns am nächsten Morgen erwarten wird - nämlich die höchste Schleuse auf dieser Reise, zehn Meter wird sie uns in die Tiefe schicken.

Zwei Tische weiter isst ein älteres Paar zu Abend. Sie haben eines der Schiffe im Hafen, das aussieht, als wäre es schon recht lange unterwegs, ein bisschen verlebt, aber geliebt und gepflegt. Sie zahlen, stehen auf und bleiben an unserem Tisch stehen: Er sagt lächelnd: “Schöne Familie.”

Disclaimer: Wir haben das Hausboot von Locaboat umsonst zur Verfügung gestellt bekommen.

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Von Schleusen und Schnecken

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Troyes - nicht alles ist lecker