Leinen los - 24 Stunden auf der Fähre
“Das dauert jetzt noch so eine halbe Stunde, dann können wir auf die Fähre”, sagt die freundliche Dame im Auto in der Schlange neben uns. Die Kinder hibbeln nervös und voller Vorfreude auf der Rückbank herum. Anna und ich hingegen fragen uns: welche Fähre?!? Wir sind zwar mitten im Hafen von Barcelona, aber keines der Schiffe hier sieht so aus, als wäre es das unsrige.
Ist es auch nicht. Etwa eine halbe Stunde vor der geplanten Abfahrtszeit schiebt sich ein 225 Meter langer Pott ins Hafenbecken, dreht elegant, legt an. “Es geht los!”, quietscht es von hinten. Es tut mir wirklich leid, erneut den erwachsenen Spießer und Spielverderber zu spielen. Aber nun müssen erstmal die alten Passagiere und Autos runter, bevor die neuen - also wir - drauf können.
Endlich ist unsere Fähre da. Und ja: auch die Erwachsenen sind nun ein wenig aufgeregt.
Und das dauert. Die Cruise Barcelona ist ein wirklich großes und (zumindest von außen) recht schickes Schiff. Ein Auto nach dem anderen und einen LKW nach dem anderen spuckt sie aus ihrem weit geöffneten Heck, ein Ende ist nicht abzusehen.
Die Stimmung auf der Rückbank sinkt in dem Maße, in dem der Hunger steigt. Anna schmiert Brote und wir laufen ein wenig herum. Jakob und Lotti fahren im Abfahrtsterminal so lange begeistert Rolltreppe, bis der Jüngste hinfällt und sich das Schienbein blutig schlägt.
Wir warten. Und warten. Und…
Laut Fahrplan sind wir längst auf dem Meer, als Anna gegen 21 Uhr die rettende Idee hat: sie geht mit den Kindern über die Gangway schon mal an Bord, ich harre aus.
Ich harre.
Und harre.
Bis dann völlig unvermittelt ein rundlicher Hafenarbeiter in eine Trillerpfeife bläst und meine Autoschlange Richtung Schiff winkt. Mit einem Mal bin ich drin, packe meinen Rucksack und suche die Familie. In weißer Voraussicht haben wir eine Suite gebucht - nicht des Luxus wegen, sondern weil es keine Fünf-Bett-Kabinen gibt.
Leinen los! Darauf stoßen wir um kurz vor Mitternacht an, dann geht’s endlich in die Koje.
Ein Tischchen vor einem Spiegel, ein schmaler Schrank, ein schmales Hochbett an der Wand und ein Doppelbett, dazu ein komplett mit Plastik ausgekleidetes Bad - C'est tout. Aus der Lüftung pfeift es abgestanden, die Kinder wollen mir das Schiff zeigen. Insgesamt elf Stockwerke hat die Cruise Barcelona. Ganz unten sind LKW und Autos, dann Kabinen und ganz oben Restaurants, ein (geschlossenes) Casino, ein paar Läden mit Nippes im Angebot. Das Beste ist das Freiluftdeck. Hier führen Hundebesitzer ihre Tiere spazieren (und ja: KACKEN). Hier liegt ein im Winter geschlossener Pool, hier gibt es eine wundervolle Bar.
Und genau dort treffen sich sämtliche LKW-Fahrer, die nun 24 Stunden Pause vor sich haben. Laute, vierschrötige Gestalten mit großen Händen und dicken Bäuchen. Sie unterhalten sich nicht - sie schreien sich an und lachen viel. Manche machen sich über die Biervorräte des blassen Barkeepers her, andere haben ihre Verpflegung - zwei Sixpacks - selber mitgebracht. Das stört hier niemanden.
Spanien verschwindet im Dunkel
Die Menschen trinken und lachen, reden, schreien und spielen Karten. Fine, Lotti und Jakob sind mittendrin und erfreuen sich an einer Limonade. Und dann schiebt sich der Riesenkahn kurz vor Mitternacht mit einem Mal langsam aus dem Hafen. Wir passieren leuchtende Docks, andere Schiffe und dann ist vor uns nur noch das offene, dunkle Meer.
Adiós España!
Am nächsten Morgen ist die Begeisterung der Kinder über die Fähre weitgehend verflogen. Die Aussicht, hier nun bis zu Abend die Zeit zu verbringen (“Und was MACHEN wir jetzt, Papa?!?”) scheint ihnen nun nicht mehr so verlockend.
Um uns herum Wasser, Wasser und…Wasser. Allmählich wird es den Kindern laaangweilig.
Anna und mich lockt auf jeden Fall der Kaffee. Ein schmächtiger junger Mann steht hinter der Bar und bedient eine imposante Siebträgermaschine. Das, was in dem kleinen Pappbecher schwappt, ist fast zähflüssig, mit zwei Schlucken weg und so stark, dass sich die Pupillen weiten.
Homeschooling auch an Bord
Über die restliche Gastronomie an Bord brauchen wir nicht zu schreiben. Alles ist überteuert und sieht künstlich aus. Wir trösten uns mit unserem mitgebrachten Picknick hinweg. Ansonsten plätschert der Tag vor sich hin. Fine besteht darauf, mit Anna eine Stunde Mathe zu machen. Sie setzen sich an Deck, wo ihnen der Wind regelmäßig die Blätter weggeweht. Jakob und ich verlaufen uns an Bord, Lotti geht irgendwann alles auf die Nerven. Die Zeit will nicht vergehen.
Mathe. Bruchrechnen. Auf Reisen zu sein bedeutet nicht, immer nur Ferien zu haben.
Wir fahren zwischen Korsika und Sardinien hindurch.
Wir beobachten den Sonnenuntergang.
Wir streicheln einen der Hunde, die immer wieder bei uns vorbeikommen.
Etwa eineinhalb Stunden vor der Ankunft in Civitavecchia dröhnt eine kaum verständliche Stimme aus den Lautsprechern, man solle die Kabinen räumen und zwar PRONTO!
Kitschig und trotzdem einfach schön. Die Sonne versinkt im Mittelmeer und augenblicklich wird es kalt.
Überall tauchen nun geschäftige Schiffsbedienstete auf. Sie klopfen an die Tür und treiben uns zur Eile an. Sie müssen die Fähre für die Rückfahrt nach Spanien vorbereiten.
Denn die Cruise Barcelona macht nach der Ankunft keine Pause, sondern fährt sofort wieder zurück. Wie die S-Bahnen in München: hin und her, hin und her…und zwischendurch wird kurz durchgefeudelt.
Endlich sind wir in Italien
Das Verlassen des Schiffs gestaltet sich dann bereits sehr italienisch. Sprich: unorganisiert. Die Fahrer von fünf Reihen Autos müssen sich darauf einigen, wer als erster die eine, schmale Rampe hinunter darf. Da steht zwar ein Mann in gelber Warnweste, der das lenken und leiten soll. Doch der starrt abwechselnd in sein Handy oder ist gar nicht da. Also wird viel gehupt, in Lücken gedrückt, einfach drauflos gefahren. Ich mache mit.
Und schon bald sind wir auf italienischem Boden.
Das entschädigt für die Strapazen der letzten Stunden und Tage. Willkommen in Italien.
Unsere Unterkunft ist altmodisch. Häkeldecken, geblümte Bademäntel, dunkle Möbel. Über allem liegt ein süßlicher, leicht unangenehmer Duft. Als ob wir bei uralten Herrschaften zu Besuch wären. Egal, wir schlafen hier nur eine Nacht. Wenn wir das Fenster öffnen, sehen wir das Meer. Und der Vermieter, der uns empfängt, ist nett. Er hat sofort einen Restaurant-Tipp für uns. Il Delfino gleich um die Ecke an der Promenade. Der Kellner im schwarzen Hemd bringt uns Brot und Wein. Er strahlt als wir nach Wein aus der Region fragen und bringt eine Flasche. Dann kommt die Pasta: Chitarrine allo scoglio, Spaghetti mit Meeresfrüchten, Pici del delfino – hausgemachte Nudeln mit Garnelen und Safran. Die Kinder freuen sich über ihre Penne mit Ragú und schaufeln alles mit der gleichen Begeisterung auf, mit der sie die Rolltreppen im Hafen gestürmt haben. Josefine ist ganz vorne mit dabei und schleckt sogar den Teller ab, bevor sie sich drei Kugeln Zitroneneis gönnt. Wir bekommen noch Weihnachts-Cantuccini geschenkt.
Benvenuti in Italia!