Montes de Toledo – “Abendessen? Jetzt?!?”
„J.W.D“ sagen wir, „janz weit draußen“ als wir auf dem Campingplatz vorfahren. Camping Lincetur liegt in der Nähe des Dörfchens Navas de Estena mitten im Nationalpark „Parque Nacional de Cabañeros“, der sich wiederum in den Montes de Toledo befindet, einer Bergkette südlich von Madrid. In diese Gegend verirren sich sonst wenige Touristen. Trotzdem ist an diesem Wochenende alles in der Umgebung ausgebucht, einzig auf diesem Campingplatz war noch ein Tipi frei. Die Kinder finden es natürlich großartig. Wir Eltern sind skeptisch. In der Nacht sinken die Temperaturen auf acht Grad. Wir haben keine Küche und das Gemeinschaftsbad liegt einen kleinen Fußmarsch vom Zelt entfernt. Egal, wir stürzen uns ins Abenteuer.
Unser Heim für vier Nächte. Die Kinder sind auf jeden Fall begeistert…
Immerhin gibt es den umtriebigen Chef des Campingplatzes, Raul. Er kümmert sich nicht nur um die Rezeption, sondern betreibt auch eine herrliche Bar. Am Tresen sitzen Spanier, trinken Bier und knabbern irgendetwas. Patrick und ich machen das sofort nach. Her mit dem lokalen Bier. Raul serviert ein „La Sagra”, ein Bier aus der Gegend, für die Kinder gibt es eine Fanta und eine kleine Tapa. Irgendetwas mit Hühnchen.
Nach diesem Bier würden wir gerne essen. Doch Raul lacht uns aus.
Lecker. Wir haben sieben Uhr abends und bekommen Hunger. Beim nächsten Bier gibt es eine Baguettescheibe mit Manchego. „Können wir bei dir auch Abendessen, Raul?“ fragen wir hoffnungsvoll. „Klar“, sagt er. „Ich habe hausgemachtes Fleisch, eine Portion Jamon oder Käse.“„Ok, das nehmen wir.“ antworten wir. Da fängt Raul schallend an zu lachen. „Aber doch nicht jetzt. Hombres. Wir haben sieben Uhr. Um neun Uhr gerne.“Oh, oh. Das haben wir nicht gewusst. Die Kinder haben jetzt richtig Hunger. Und wir sollen noch zwei Stunden warten?
Das gastronomische Zentrum von Navas de Estena.
Eine große Auswahl haben wir nicht: Im Dorf gibt es nur ein weiteres Restaurant. „Meson de Toledo“. Es hat schon geöffnet. Um acht Uhr trauen wir uns hin. Der Chef schaut uns neugierig an. „Essen jetzt? Da müsst ihr noch warten. Jetzt essen meine Mitarbeiter.“
Doch er rückt uns zwei Tische zusammen, legt eine Papierdecke darauf und bringt schon mal eine Flasche Wein. Guter Mann. Schön ist das Restaurant nicht, auf dem Boden braune Fliesen, an den Wänden ein paar Hirschgeweihe, dunkle Tische und Möbel. Doch wir fühlen uns sauwohl. Ab halb neun wird es langsam voll und wir dürfen in die Speisekarte schauen. Salat mit Rebhuhn, Mariniertes Wild, Spanferkel, für Vegetarier ist das nichts.
Hirsch in Hochform.
Was er uns denn empfehlen würde, fragen wir den Wirt. Der Hirsch sei gut und die Keule vom Zicklein, das könnte allerdings dauern, grinst er, er müsse erst den Grill anheizen. Die Kinder spielen auf der Papiertischdecke Schiffeversenken und rennen herum. Das stört in Spanien niemanden, die Stimmung ist laut und fröhlich. Um halb zehn gibt es dann endlich Essen. Ensalada mixta, hausgemachte Patatas, Hirsch und Ziege. Der Hirsch ist stundenlang geschmort und zart, die Ziege knusprig und würzig. Die Kinder sind begeistert.
„Warum haben Sie nur an drei Tagen in der Woche auf?“ fragen wir den Wirt beim Bezahlen. Mittlerweile ist es schon fast Mitternacht, viele bestellen jetzt noch ihr Abendessen. „Damit ich das alles für euch vorbereiten kann,“ sagt der Wirt und klopft uns auf die Schulter. Dann eilt er zurück in die Küche.
Gleich geht’s ins Bett. Es wird kalt hier in den spanischen Bergen.
Andere Länder, andere Sitten. Das ist wirklich wahr. Zum Frühstück geht es ein paar Dörfer weiter in eine Bar. Die Bars spielen eine wichtige Rolle in Spanien, hier beginnt der Tag mit einem café con leche, einem Milchkaffee, und einem Tostado, einem getoasteten Brot. Zuhause frühstückt keiner. An diesem Morgen ist der Lärm unbeschreiblich, gefühlt hat sich das halbe Dorf versammelt, der Barmann ist überfordert und streitet sich mit seiner Kollegin. Und wir stehen staunend dazwischen. Schließlich begreifen wir: wer am lautesten ist, kriegt sein Frühstück. „Fünf Tostados mit Schinken,“ brülle ich schließlich auch. „Und zwei cafecitos, por favor.“ Die señora neben mit blickt anerkennend zu mir auf. Sie ist drei Köpfe kleiner und wartet schon länger. Und siehe da: Es funktioniert, ein paar Minuten später bestreichen wir getoastete Baguettes mit Tomatensauce, träufeln Olivenöl drauf und legen Jamon Iberico darauf. Köstlich.
Wir haben hier erstaunlich gut geschlafen. Jetzt wollen wir Frühstück, auf in die Bar!