Kalabrien - Karaoke in Rocca Imperiale

Wir haben Sizilien verlassen und sind auf dem Weg nach Apulien. Für eine Etappe ist der Weg zu weit. Deshalb hat Anna für eine Nacht eine kleine Wohnung in Rocca Imperiale gebucht - klingt nett, liegt auf dem Weg, ist günstig. Wir fahren von der Autobahn ab und ich weiche auf der dunklen Straße Schlaglöchern aus. 

Plötzlich halten wir den Atem an. Oben auf einem Hügel thront eine beleuchtete Festung, darunter schmiegen sich Häuser an den Fels. Die Straßenlaternen und Fenster leuchten in der Dunkelheit. So ähnlich muss sich Harry Potter bei seiner ersten Ankunft in Hogwarts fühlen. 

Rocca Imperiale in Kalabrien

Der Abend ist jung. Und ich weiß noch nicht, was er für mich bereit hält…

Und es ist ein normaler Donnerstagabend. Wären wir zuhause geblieben, nicht aufgebrochen, wäre die abendliche Routine nun die ewig gleiche: Die Kinder müssen ins Bett, morgen wird der Wecker klingeln, während es draußen noch dunkel ist. Brotzeitdosen bereitstellen, noch eine Spülmaschine anwerfen, vielleicht noch Wäsche aufhängen, Abendbrottisch abräumen. So kurven wir die steilen Straßen nach Rocca Imperiale hoch, wissen nicht, wo wir landen.

Alles ist ein Abenteuer.

Unsere Wohnung liegt direkt unter der Burg und weil sie - wie in Süditalien üblich - keine Heizung hat, lädt sie nicht zum Bleiben ein. Also machen wir uns auf die Suche nach einem Restaurant, wir träumen von Pasta, die Kinder von Pizza. Leider stehen wir überall vor verschlossenen Türen und dunklen Fenstern.

Auf einem kleinen Platz treffen wir Jolanda, eine junge Frau mit Kinderwagen und fragen sie um Rat. In der kleinen Kneipe neben dem Souvenirshop könne man etwas essen, sagt sie und bringt uns gleich hin, sie trifft sich dort auch mit Freunden und Familie. 

Abendessen in Rocca Imperiale in Kalabrien

Wir fühlen uns mehr als wohl. Sauwohl nämlich.

Der Raum ist gerade mal groß genug für drei dunkle Holztische. Wir quetschen uns unter den riesigen Flachbildfernseher und bestellen: Pommes für die Kinder, einen Teller mit Käse- und Wurstspezialitäten der Region und frittierte Kabeljaustückchen mit knusprigen, getrockneten Paprikastücken - ebenfalls eine Spezialität. Viel mehr gibt es auch nicht. Auf einem Regalbrett an der Wand stehen verschiedene Rotweine. Mich reizt besonders die unspektakulärste von allen: Eine Literflasche ohne Etikett, verschlossen mit Kronenkorken. Der komme hier aus der Gegend, sagt die Bedienung - das kann ganz und gar grauenhaft werden. Oder wundervoll. Wir lassen ihn öffnen. Und er ist wundervoll, schmeckt würzig und leicht. 

Eine Flasche Rotwein

Heute Abend ist das hier der beste Wein der Welt.

Am Nachbartisch sitzen die Dorfbewohner, trinken Bier, lachen viel und prosten uns zu. Aus der Küche schaut immer wieder eine alte Dame, die Nonna. Sobald die Kinder satt sind, ziehen sie mit der sechs Jahre alten Chloé vom Nebentisch los zu einer Passeggiata, einem Spaziergang. Das Mädchen spricht kein Wort Deutsch, unsere kein Italienisch. Sie kann nur einen Satz auf Englisch: do you want to play? Natürlich wollen unsere. Die Erwachsenen sitzen und quatschen ja nur. Sie haben eine neue Freundin.

“Wollt ihr noch Pasta?”, fragt die nette Bedienung, als sie die leeren Teller abräumt. Stand nicht auf der Karte und eigentlich sind wir satt. Aber wie könnten wir die hausgemachten Nudeln, die sämige, stundenlang gekochte Soße aus Tomaten, Kräutern und etwas Fleisch ablehnen? “Müsst ihr nicht bezahlen, un regalo”, heißt es, ein Geschenk. Ebenso wie die Pizza mit Schokocreme für die Kinder, die mit einem Mal auf dem Tisch steht und die sie in einer kurzen Spielpause mit Chloé teilen.

Wir essen einfach weiter

Die Nonna betritt strahlend den Raum, unter dem Arm eine große Schüssel. “Wer möchte Fleisch?”, fragt sie. Schon liegt es auf unseren Tellern. Hühnchen mit Tomate und Kräutern. Wir sind satt, richtig satt. Aber das nun abzulehnen, kommt uns nicht in den Sinn. Zum Glück gibt es danach nur noch einen Berg Salat.

Als sich kaum einer mehr rühren kann vor lauter Essen, greift sich eine der Bedienungen das Mikrofon, das unter dem Fernseher bereit liegt, und der wird zur Karaokemaschine umfunktioniert. Italienische Schlager dröhnen durch den Raum. Wer singen kann, singt mit. Und wer nicht kann - auch.

Nun ist Schluss mit Brummen. Ich singe!

Es kommt, wie es kommen muss. Irgendwann reichen die Einheimischen uns das Mikrofon. Zu meinem Glück kann Anna hervorragend singen. Ich kann mich mit meinem Gebrumme hinter ihrer klaren Stimme verstecken. Doch dann geschieht etwas in mir. Ich denke, dass ich mein Leben geglaubt habe, keinen Ton treffen zu können. Und ich denke, dass es an der Zeit ist, damit aufzuhören. Ich beginne zu singen. Laut und sicher etwas schief. Aber es fühlt sich verdammt gut an, die Stimme frei zu lassen.

Als wir Arm in Arm nach Hause laufen, die Kinder stromern voraus, schaut mich Anna lächelnd von der Seite an. “Ich hab dich singen hören, vorhin”, sagt sie. “Das war gut.”

Lieblingskneipe in Rocca Imperiale, Kalabrien

Der Ort des Geschehens der vergangenen Nacht.

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