Shkodra - eine Stadt die uns fordert
Ohje. Das ist unser erster Gedanke, als wir vor unserer Unterkunft für die nächsten Tage stehen. Ein seelenloser Appartementblock am Rande von Skhodra. Auf dem Weg hierher haben wir kleine Slums passiert, sind an leerstehenden Industrieruinen vorbei gefahren.
Das soll sie sein, die Perle des albanischen Nordens?
Wir sind wild entschlossen, in den nächsten Tagen ihre Schönheit zu entdecken. Das gelingt mir zunächst nicht. Am nächsten Morgen brauchen wir Bargeld und ich mache mich auf die Suche nach einem Geldautomaten, Lotti und Jakob begleiten mich.
Von oben und im Abendlicht sieht das alles ganz malerisch aus.
Wir kommen durch eine Einkaufsstraße. Eine, der besonderen Art. Kleine Läden an der Seite bieten ein wirres Durcheinander von Dingen an, von blinkenden Kinkerlitzchen bis hin zum Wischmop. Fischhändler verkaufen lebende Tiere aus ihren Wasserbecken. Am Straßenrand sitzen Frauen, vor sich ein paar Eier, Kräuter oder Raki. In den Bäumen sind Käfige mit Singvögeln festgemacht. Es ist laut, es ist voll. In einer Bankfiliale entdecken wir einen Ara, der festgekettet auf einem Tischchen sitzt.
Jakob entdeckt einen Instrumentenbauer, schaut ihm lange ruhig und konzentriert zu. “Toll”, sagt er.
Als ich nach langer Suche einen Geldautomaten entdecke, hauen mich die Gebühren fast aus den Socken. 45 Euro, um 200 Euro abzuheben. Auch das ist Reisen. Später am Tag besuchen wir die Burg Rozafa, die sich über der Stadt erhebt. Sie stammt aus dem vierten Jahrhundert vor Christus und wurde von den Illyrern errichtet.
Der Blick geht weit über das Land. Schon vor 2400 Jahren standen hier oben Menschen und hielten Ausschau nach Freund und Feind.
Auf den Mauern lernen wir den Koch Niko kennen. Niko betreibt in Deutschland ein Restaurant und zeigt gerade seinen zwei liebsten Gästen, einem neugierigen und aufgeschlossenen Ehepaar seine Heimat. Er hat sofort jede Menge Tipps parat, bietet sofort an, uns Geld zu wechseln, als ich von meinen Erlebnissen am Automaten erzähle.
Da ist sie wieder, die Freundlichkeit der Albaner.
Moderne Häuser sehen wir von hier oben genauso wie Slums.
Wir wollen nicht zurück in unser Appartment und fahren an den nahe gelegenen See mit Namen Skadarsko Jezero. An einer Uferstraße liegt ein Restaurant neben dem anderen. Vorsicht, hatte Niko gesagt, da sind Touristenfallen dabei. Doch Anna und Jakob führen uns zielsicher in das hinterste Restaurant. Es hat eine schöne Terrasse mit Blick über den See. Ich esse die hiesige Spezialität: Tavë Krapi, ein Kotelett vom Karpfen, geschmort in einer Soße aus Zwiebeln, Tomatenmark und Weißwein. Köstlich!
Aus diesem See kommt der Karpfen, den ich am Abend verspeise. Herrlich.
Am nächsten Vormittag sind wir wild entschlossen, Skhodra noch eine Chance zu geben. Wir laufen los und bald lassen wir die grauen Wohnblöcke unseres Viertels hinter uns und erreichen die Altstadt. Niedrige, gemütlich aussehende Häuser stehen nun an den Straßen. Cafés und Bars haben geöffnet, junge und offenkundig wohlhabende Leute sitzen in der Sonne. Es gibt sogar eine Fußgängerzone.
Hier finden wir eine Filiale der deutschen Drogeriekette Rossmann, einen Flagshipstore von Ray Ban und lauter englische Namen Läden und Cafés. Klar, der Tourismus bringt Geld in die Stadt. Aber wenn dadurch das Eigene, das Alte verloren geht, dann ist das ein Weg in die Gleichmacherei, nicht in die Zukunft.
Sind wir denn schon in Norwegen? Nein, noch in Albanien.
Wir haben genug von Stadt, Autos und Verkehr. Am nächsten Morgen ist Wochenende und wir fahren auf's Land. Dort soll es phantastische Seen geben, fjordähnlich an Norwegen erinnernd. Das stimmt. Nur die Straßen, die durch die einsamen Berge führen, haben mehr von einem Feldweg. Einem schlechten Feldweg.
Mit weniger als 20 Kilometern pro Stunde holpern wir voran, die Kinder auf der Rückbank werden durchgeschüttelt. Die Stimmung sinkt, da kann auch die wirklich fantastische Aussicht auf den grünblauen See, der unter uns liegt, nichts ändern. Wir wollen nicht mehr fahren, schreien die Kinder.
Klein und unscheinbar. Aber unsere Rettung.
Wenige Kilometer vor dem Ziel, dem Städtchen Koman, halten wir an. Neben der Straße liegt ein Holzhäuschen: Bar Coffee Fabio steht auf einem kleinen Schild. Fabio ist ein alter Herr mit weißen Haaren und im Anzug, er lächelt. Die Inneneinrichtung seines Cafés besteht aus ein paar Tischen, einem Fernseher und zwei Kühlschränken.
Zwei Bier, drei Limo und den Tisch auf der Holzterrasse mit Blick über das Tal bitte. Wir sitzen, wir atmen durch. Ein Adler mit Beute in den Klauen streicht knapp über die Baumwipfel. Neben uns rauscht ein Bach.
Die Stimmung ist wieder hergestellt. Uff. Nun drehen wir um.
Fahren wir weiter? Drehen wir um? So knapp vor dem Ziel?
Aber Moment: was heißt hier eigentlich Ziel? Ist das ein weiterer Ort? Oder nicht viel eher ein Zustand? Der, in dem wir jetzt gerade sind? Fabio schenkt Jakob eine Chipstüte, die Kinder lachen wieder und bauen am Straßenrand mit Steinen. Wir verlieren nichts, wenn wir jetzt umdrehen. Wir haben alles gewonnen.
Auch der Rückweg zieht sich. Auf der Straße sind ein paar Kühe unterwegs. Und die sehen überhaupt nicht ein, dass sie zur Seite gehen könnten.