Catania - Die lächelnde Stadt

“Schaut mal!”, rufen die Kinder. Über uns hängen hunderte Regenschirme in blau, gelb, rot und grün. Sie leuchten in der Sonne, die nach ein paar Regentagen endlich wieder scheint. Catania ist die zweitgrößte Stadt Siziliens und liegt direkt am Meer. Der Fischmarkt ist berühmt. Am Vormittag verkaufen die Fischer alles, was sie in den frühen Morgenstunden aus dem Meer gezogen haben. 

Ein Schwertfisch auf dem Fischmarkt von Catania

So frisch bekommt man Fisch selten. Dieser Schwertfisch schwamm vor ein paar Stunden noch im Mittelmeer.

Durch einen hohen, alten Torbogen erreichen wir den kleinen Platz, umgeben von hohen Häusern. Etwa ein Dutzend provisorische Stände sind aufgebaut, Bretter auf umgedrehten Blechwannen. Darauf Plattfische, Makrelen, Seebarsche und viele andere Fische, die wir noch nie gesehen haben. Jakob entdeckt einen Schwertfisch – sein Kopf liegt neben dem Körper, und das Schwert reckt sich gen Himmel. Die Kalmare leben noch und atmen schwer, ihre Körper heben und senken sich.

Lotti drückt ihr Kuscheltier, das sie überall dabei hat, fest an sich. Mit großen Augen schaut sie mich an, Fassungslosigkeit im Blick. „Warum machen die das?“, fragt sie. Ich habe keine Antwort. Was soll ich sagen? Dass die Menschen sehen, wie frisch die Tintenfische sind? Dass es Tierquälerei ist und wir trotzdem kaufen? Ich finde keine Worte, um das Lotti zu erklären und drücke sie stumm an mich.

Fischmarkt in Catania

Darf’s ein Tintenfisch sein? Lebend?

Bald kommen wir mit Giuseppe ins Gespräch, einem über 60-jährigen Fischer. Sein verschmitztes Lächeln zeigt den einzigen Zahn, den er noch hat. Flink pult er ein paar rohe Krabben aus ihren Panzern und steckt sie uns in die Münder. Alle probieren, sogar die Mädchen – die zarten, süßen Krabben schmecken nach Meer. Wir kaufen ein Kilo und ein paar Makrelen dazu. Giuseppe gibt uns Tipps zur Zubereitung: Viel Öl und etwas Zitrone, das ist wichtig. Ob man die Fische kocht oder in der Pfanne brät, ist egal.

Straßenzug in Catania

Der Himmel über den Gassen von Catania leuchtet und strahlt.

Jetzt haben wir Hunger! Direkt neben dem Fischmarkt liegt die Streetfood-Bar „Scirocco Sicilian Fish Lab“. Cibo di strada, das Essen der Straße, hat auf Sizilien eine große Tradition. Neugierig bestellen wir die Karte rauf und runter: Arancinetti di Pesce, frittierte Reisbällchen gefüllt mit Tintenfisch, Meeresfrüchten und Schwertfisch, Cartoccio con pescato del giorno, frittierte Sardellen und andere kleine Fische, und ein Tramezzino mit weißen Garnelen und Rettich. Während Anna und ich zufrieden die fettigen Finger ablecken, fragt Josefine vorsichtig: „Können wir vielleicht noch irgendwo richtig essen?“

Streetfood auf Sizilien

Streetfood hat Tradition auf Sizilien. Die erforschen wir gerne und ausführlich.

Wir wollen gerade aufbrechen, da erstarren die Mädchen. Vor unseren Augen wird gerade der Fischmarkt abgebaut. Eine Ratte huscht umher auf der Suche nach Resten. Da greift ein Mann eine Holzlatte und drischt auf das Tier ein. Das windet sich, noch ein Schlag. Dann liegt die Ratte stumm auf den nassen Steinen. Beiden Mädchen stehen Tränen in den Augen. “Sie ist jetzt einfach tot…“, sagt Lotti tonlos. Fine blickt stumm vor sich auf den Tisch. Ich nehme sie fest in den Arm und hoffe, dass ich die richtigen Worte finde. „Die Welt ist ein guter Ort und die meisten Menschen sind gut“, fange ich an. „Aber wo Licht ist, da sind auch Schatten und Dunkel. Und heute hast du einen Blick ins Dunkle geworfen. Vergiss nie, dass das Licht stärker ist.“ Fine schmiegt sich in meinen Arm. Wir packen zusammen und machen uns auf die Suche nach einer Pizza.

Eine Pizzeria in Catania

Steht in keinem Reiseführer. Findet man nur, wenn man sich treiben lässt…

In der Via Montesano, einer Nebenstraße der Haupteinkaufsmeile Via Etnea,  entdecken wir die kleine Pizzeria del Centro. In einem winzigen, halbdunklen Raum knetet ein alter Mann den Teig, belegt ihn mit ruhigen Bewegungen und schiebt ihn in den Holzofen. Wir bestellen zwei Margherita. „Macht 3,80 Euro das Stück.“ Kann das stimmen? Es stimmt. Die Pizzen sind hauchdünn und knusprig, die Kinder essen, als hätten sie heute noch nichts bekommen.

Danach lassen wir uns durch die Straßen und Gassen treiben. Die Kinder bekommen ein Eis, natürlich sensationell. Als es dämmert, landen wir zufällig in der „Legatoria Prampolini“, der ältesten Buchhandlung der Stadt. Eine „Legatoria“ ist eigentlich eine Buchbinderei, aber in den drei ineinander übergehenden Räumen werden schon lange keine Bücher mehr gebunden. Im linken ist eine Buchhandlung. Im mittleren stehen Tische und gemütliche Sessel, an den Wänden Regale mit Büchern und schönen Dingen. Junge Menschen arbeiten an Laptops - an der Wand aber gemahnt ein Zettel, dass die um 18 Uhr weggepackt werden sollen. Ab da solle man den Feierabend genießen. Das fällt nicht schwer, denn im rechten Raum ist eine Bar. Dort gibt es Kaffee, Kuchen und einige Naturweine. Der Barkeeper, ein bärtiger Sizilianer mit wilden Locken, empfiehlt uns seinen Lieblingsschaumwein, einen sizilianischen Pet Nat.

Legatoria Prampolini in Catania

Allein schon um hier ein paar Stunden zu verbringen, lohnt sich ein Besuch von Catania.

Anna und ich stoßen an. Die Kinder knabbern unsere Nüsse und Oliven, blättern durch italienische Bilderbücher. Am liebsten würden wir ewig bleiben.

Auf dem Weg zum Auto nimmt mich Fine zur Seite. “Papa, ich hab nachgedacht”, sagt sie. “Eigentlich muss ich wegen der Ratte nicht traurig sein. Denn es bringt ihr nichts und ich kann ja gar nichts dafür, was passiert ist.” Ich bin unendlich froh - sie hat das geschafft, was ich ihr vor ein paar Stunden gesagt habe: sie hat das Licht in ihr Herz zurückgelassen und nicht das Dunkel.

Wieder zuhause koche ich eine Pasta mit den frischen Krabben vom Fischmarkt. Als wir am Essenstisch sitzen, sagt Lotti: „Catania hat mir richtig gut gefallen. Und wisst ihr auch warum? Die Stadt lächelt.“

Zurück
Zurück

Salvatore Romano - Der mit dem Meerwasser kocht

Weiter
Weiter

Auberginen und Pastaglück