Büro unter freiem Himmel

Guter Käse beginnt mit den Kräutern. Denn alles, was Ziegen fressen, beeinflusst den Geschmack des Käses. Es ist früher Nachmittag und wir stehen inmitten von großen, prachtvollen Ziegen. Jakob möchte auf meinen Arm - kein Wunder, blicken ihm die Tiere doch direkt in die Augen. Und ihre Hörner sind groß. “Geht besser zur Seite. Wenn ich das Tor öffne, dann rennen sie raus”, sagt Julien. Vorsichtig schiebt er das Gatter auf und geht selbst rasch einen Schritt nach links. Knapp 50 Ziegen rennen meckernd los. “Auf geht’s”, sagt Julien und nimmt uns mit auf die Bergwiesen.

Eine Ziegenherde

Ungeduldig warten die Ziegen, dass das Gatte aufgeht. Sie haben Hunger und wollen los.

Eine Stunde zuvor

Wir haben das Auto an der Straße geparkt und sind 30 Minuten über einen Schotterweg zu der kleinen Farm von France und Julien gelaufen. Auf den Berghängen hier wachsen knorrige Steineichen, am Straßenrand wilder Thymian. Im Sommer ist das Zirpen der Zikaden zu hören. Jetzt im Herbst ist es still. Julien und France leben mit ihren drei Kindern weitab von jedem Nachbarn. Die nächsten Dörfer Trilla und Ansignan sind mit dem Auto 20 Minuten entfernt.

Wir erreichen die Farm und ein großer Mann kommt mit einem Lächeln auf uns zu. Julien. Er trägt eine braune Arbeitshose, schwere Schuhe und ein schwarzes T-Shirt. Die Haare hat er kurz geschnitten, die letzte Rasur ist ein paar Tage her. Er hat die breiten Schultern eines Mannes, der Tag für Tag körperlich arbeitet. Um ihn herum springen zwei Hunde. Rita ist schon ein paar Jahre alt und hält sich eher zurück, wenn es um die Arbeit mit den Ziegen geht. Nikita ist ein Schäferhundmischling, jung und wild.

Zwischen den Bäumen liegt ein kleines Haus. Ansonsten stehen recht wild verteilt in der Gegend Gerätschaften herum, hier und da ein Schuppen, unter von Wildschweinen zerrissenen Planen lagern Strohballen. Die Trockenheit, die hier seit drei Jahren herrscht, ist unübersehbar. “Salut”, sagt Julien und gibt jedem von uns die Hand.

Juliens täglicher Weg mit den Ziegen führt durch die karge Landschaft des Roussillon.

Bald darauf hat er die Herde rausgelassen. Julien läuft den Tieren voraus. Nikita soll nun in Halbkreisen hinter ihnen hin und her rennen und sie auf diese Weise zusammenhalten. Das klappt mal mehr und mal weniger. Nikita ist jung und noch nicht sonderlich erfahren. Das merken die Ziegen. Immer wieder senkt eine die Hörner und droht der Hündin, die sofort das Weite sucht. 

Dann wiederum ist Nikita so begeistert von sich und davon, am Leben zu sein, dass sie wild mitten unter die Ziegen fährt und diese sich links und rechts davon machen. “Nikita! Stop!”, brüllt Julien immer wieder. 

Sonne und Wind im Gesicht

Nach etwa einem halben Kilometer haben wir ein kleines Plateau erreicht. Der Blick geht weit über die umliegenden, einsamen Berge. Wir sehen die Katharerburg Queribus und weit hinten im Dunst das Mittelmeer.

“Warum habt ihr die sicheren Jobs im Krankenhaus eigentlich aufgegeben?", frage ich Julien. Er lacht und breitet die Arme aus. “Weil das hier jetzt mein Büro ist”, sagt er. Im Krankenhaus hatten beide Schichtdienst, keine Sonne im Gesicht und keinen Wind. “Außerdem musst du in so einem System immer wieder Dinge tun, die du für sinnlos hältst”, sagt er. “Aber die Krankenkassen wollen das so. Das hat mich wahnsinnig gemacht.”

Juliens Büro unter freiem Himmel. Nervige Kollegen gibt es hier keine, keinen Chef. Nur Nikita.

Also kauften die beiden für rund 80.000 Euro diese Farm. Ein paar Hektar Land gehören dazu, das Wohnhaus, die Ställe, 50 Ziegen. Dazu in Trilla die Käserei. France und Julien sind ein gutes Beispiel für die Region. Häuser und Grund sind günstig, deshalb zieht sie junge und kreative Menschen an. Sie können hier einfach mal was ausprobieren, ohne finanziell allzu große Risiken einzugehen. “Es gibt ein französisches Sprichwort”, sagt Julien. “Du kannst 1000 Leben in einem leben.” Man muss sich nur trauen - Anna und ich schauen uns an. Was für ein Leben leben wir gerade eigentlich? Was kommt, wenn die Reise eines Tages zu Ende ist? Julien gibt mir gerade die Zuversicht, dass wir uns da keine Gedanken machen müssen. Das Leben wird es schon gut mit uns meinen.

Julien hütet die Ziegen, France macht den Käse

Am nächsten Morgen sind wir bei France in der Käserei. Die liegt in Trilla, einem Dorf mit 72 Einwohnern. Jeden Tag fährt Julien die Milch der Ziegen dorthin. Acht Monate im Jahre geht das so, dann geben die Ziegen keine Milch mehr. Das bedeutet, in diesen acht Monaten müssen die beiden genug Geld verdienen für zwölf.

Anna im Interview mit France

Wer trägt das schönere Tuch auf dem Kopf? France erklärt Anna ihr Tun in der Käserei.

France hat die langen, dunklen Haare unter einem bunten Tuch zusammengebunden. Sie trägt eine Schürze aus Gummi, eine schwarze Hose und schwarze Gummistiefel. Für sie alleine ist es schon eng in der winzigen Käserei, Anna und ich stehen immer wieder im Weg.

Gestern Mittag hat sie die Milch dick gelegt, die Julien ein paar Stunden zuvor gebracht hat. Dafür hat sie etwas Lab hinzugegeben und das Geheimnis eines jeden Käsers: Molke, oder petit lait wie sie auf Französisch heißt. France setzt ihre zu Beginn der Saison an, wenn die Tiere wieder Milch geben. “Dann fahre ich gerne zu Kollegen, wir tauschen petit lait untereinander, damit die Bakterien in ihr möglichst vielfältig sind”, sagt sie. Das gibt den Käsen ihren individuellen Geschmack. Mich erinnert das an Bäcker, die ihre Sauerteige untereinander tauschen.

“Dann ist wichtig, dass die Temperatur passt”, sagt France. “Hier im Raum sind es immer genau 20 Grad.” Sie deutet auf die Klimaanlage und ein Thermometer an der Wand und greift sich eine Schöpfkelle. Während des Sommers bringt Julien Tag für Tag um die 55 Liter Ziegenmilch. Jetzt, kurz vor dem Ende der Saison, sind es weniger, gestern waren es 35. Über Nacht wird dann aus der Milch der sogenannte Bruch - eine Art halbfester und noch sehr feuchter Käse.

So wird Ziegenkäse gemacht

Von nun an heißt es nur noch warten…

“Ein Liter Milch ergibt zwei von den kleinen, runden Käsen”, sagt France. Jeder ist etwa so groß wie ein Handteller. France verteilt weiße Formen aus Plastik mit Löchern darin auf der Arbeitsfläche aus Edelstahl. Nun schöpft sie mit der Kelle den Bruch hinein. Die Flüssigkeit läuft aus den Löchern. “Et voilá!”, sagt France und lacht. Das war es?

Das war es! Was bald darauf fertiger Ziegenkäse ist, gehört zum Besten, was wir in ganz Frankreich während der vergangenen Wochen gegessen haben.

1000 Leben in einem - alles ist möglich

“Ziegenkäse zu machen ist nicht schwer”, sagt France. Als sie die Farm übernahmen, lernte sie etwas drei Monate bei ihren Vorgängern, danach machte sie noch einen offiziellen Kurs. Anna fragt France, ob sie denn nie Angst gehabt hätten, sie und Julien. Immerhin gaben sie feste Jobs auf, um mit ihren Kindern auf eine abgelegene Farm zu ziehen und mit etwas Geld zu verdienen, von dem sie keine Ahnung hatten.

“Angst haben wir nie gehabt”, sagt France. “Es war manchmal hart, aber wir waren uns immer sicher, dass es richtig war.”

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Zwischen Mandarinen und Reis

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Auf der Suche nach dem wilden Schwein