Der magische 10. September in Reims
Wie oft hatten wir von diesem Tag geträumt, auf ihn hingefiebert und manchmal Angst gehabt. Und jetzt ist er da: Der 10. September 2024. In Bayern, wo wir zuvor gewohnt haben, beginnt heute die Schule. Dieses Datum hatten wir uns zuhause im Kalender rot angestrichen. An diesem Tag sollte es losgehen, das große Abenteuer. Über ein Jahr lang hatten wir Pläne geschmiedet, Listen geschrieben und geträumt von der Reise. Schlaflose Nächte gehabt, uns selbst für verrückt erklärt und gearbeitet wie die Verrückten. Manchmal dachten wir, wir schaffen es nicht.
Der erste Schultag in der Champagne
Und dann wachen wir am 10. September morgens in Reims auf. Die Stadt meint es heute gut mit uns. Der Himmel ist strahlend blau und sofort wirken die Häuser weniger grau. Wir haben Hunger und Kaffeedurst und wollen im altehrwürdigen Café du Palais frühstücken und mit den Mädchen einen Stundenplan machen.
So sieht der Stundenplan einer Sechstklässlerin auf Reisen aus.
Der Kellner elegant in Hemd und Krawatte serviert uns Croissants und Café Crème. Die Sessel sind aus rotem Samt. An den Wänden hängen Bilder und Skulpturen, die dem ganzen Raum einen Hauch von Kunst verleihen. Josefine und Carlotta breiten ihre Hefte aus und tüfteln an ihrem Stundenplan. Wann sollen wir Mathe machen, wann Englisch und Französisch? Neben ihnen genießt Jakob den frisch gepressten Orangensaft, während ich den Geschichtsunterricht einläute.
Von Königen und Jeanne d’Arc
Das charmante Reims, wo früher alle französischen Könige gekrönt wurden und Jeanne d’Arc die Stadt den Engländern wieder abspenstig machte, um Karl zum König zu machen – das sorgt für glänzende Augen bei den Mädchen, selbst Jakob ist plötzlich ganz Ohr. Diese Johanna, die möchte er unbedingt kennenlernen! Kein Problem. Nur zwei Straßenecken liegt die beeindruckende Kathedrale. Sogar wir Erwachsenen, die nun schon einige Kirchen gesehen haben, stehen ganz ergriffen da und staunen über die Größe und die Ausstrahlung dieses Bauwerks. Drinnen schaut Jakob mit weit aufgerissenen Augen nach oben und flüstert: „Papa, das ist so hoch! Man sieht die Decke fast gar nicht, weil da oben so viel Dunkelheit wohnt!“
Da oben wohnt die Dunkelheit.
Die Mädchen sind hin und weg von den riesigen, bunten Glasfenstern. Aber hey, was ist mit den grauen Fenstern? Ein dunkles Andenken an die Schrecken des Ersten Weltkriegs. Zack! Plötzlich sind wir mittendrin im Geschichtsunterricht, ohne es wirklich zu merken. Wir reden über die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Franzosen und über die Versöhnung, die Charles de Gaulle und Konrad Adenauer hier 1962 groß gefeiert haben. Schließlich steht Jakob vor der Statue von Jeanne d’Arc, düster in ihrer Rüstung, und starrt sie an, ganz in Gedanken versunken. Nach einer Weile zündet er eine Kerze an – er will unbedingt eine mit Bild von Jeanne d'Arc. Was denkt er gerade? Was geht in ihm vor?
Jetzt haben wir uns einen Champagner verdient
Jeanne d’Arc, die Jungfrau von Orléans, erblickte um 1412 das Licht der Welt und wuchs in einem kriegsgeplagten Frankreich auf. Mit nur 17 Jahren hörte sie Stimmen von Heiligen, die sie aufforderten, Frankreich zu befreien und Karl VII. zum König zu krönen. Ihr großer Moment kam 1429 mit der Befreiung von Orléans, wo sie die französischen Soldaten in einer der entscheidenden Schlachten anführte. Nach ihrer Gefangennahme durch die Burgunder wurde sie 1431 als Ketzerin hingerichtet, genießt aber seitdem posthum Ruhm und wurde 1920 heiliggesprochen.
So düster die Kathedrale von Reims von außen wirkt, so einladend ist sie im Innern.
Die Kinder sind neugierig und wollen mehr erfahren über das Mittelalter: Folter, Hexenverbrennungen – alles, was auch Jeanne d’Arc betraf – und die Rollen der Frauen und Männer in dieser chaotischen Zeit. Nach einer Stunde verlassen wir die Kathedrale, und die Kinder sind voll von neuen Eindrücken und Wissen. Auch wenn wir heute nicht viel Mathematik und Englisch gemacht haben, in Geschichte haben die Kinder einiges gelernt.
Das muss gefeiert werden. Im Reiseführer lese ich, dass Gott, als er das erste Mal Durst hatte, Pierre Pérignon zur Erde schickte. Der Mönch braute ein Getränk, das ihn die Sterne sehen ließ – und voilà, der Champagner war geboren! Während die Kinder in den Hautes Promenades, einem Park mitten in der Stadt, herumtollen, bestellen wir im Kiosk den „Champagner du moment“. Auf den ersten Schultag! 🥂