Koroni - Rückkehr nach 29 Jahren
Der Urlaub in Griechenland: Er war damals eine herrliche Auszeit von allem. Ich war 15 Jahre alt, keine leichte Zeit. Schule war nicht so mein Ding, ich schlingerte etwas orientierungslos durchs Leben. Die Nachmittage verbrachte ich am liebsten alleine auf meinem Rennrad auf den Straßen rund um meinen Geburtsort Tübingen.
Freunde hatte ich damals kaum. Ein Smartphone, geschweige denn das Internet gab es auch nicht. Wir fuhren zwei Wochen nach Griechenland zusammen mit einer befreundeten Familie. Moritz war wie ich der älteste Sohn und genauso uncool wie ich.
Über was wir uns damals so unterhielten, weiß ich nicht mehr. Wir waren stundenlang schnorcheln - Moritz, immer der mutigere von uns beiden - waren alleine und ohne einen Erwachsenen am Meer. Es war das Paradies.
Koroni - damals wie heute einfach schön.
Vier oder fünf Nächte waren wir damals in Koroni. Der Ort liegt an der Südspitze der Peloponnes auf dem ersten Finger. Dort war der Strand nicht weit von unserem Ferienhaus, ein kleiner Fußmarsch brachte uns zu einigen Felsen.
Im Ort gab es eine Taverne am Hafen. In unserem Familienalbum kleben Fotos, die uns dort beim Mittag- und beim Abendessen zeigen, Sonne auf glücklichen Gesichtern, dunkel werdende Wellen. All das will ich Anna und den Kindern zeigen. Heute, 29 Jahre später.
Als wir uns Koroni nähern, warte ich darauf, irgendetwas wiederzuerkennen. Obwohl ich ungefähr weiß, wo unser Haus damals lag, kommt mir nichts bekannt vor. Erst als wir in die Bucht fahren, merke ich, dass ich schon einmal hier war. Wir parken am Hafen und steigen aus.
Um diese Jahreszeit ist hier nichts los. Den Angler an der Promenade freut’s, er hat seine Ruhe.
Schon einmal bin ich diese Schritte gegangen und habe schon einmal auf diesen Hafen geblickt. Wovon habe ich damals eigentlich geträumt? Was für Ziele im Leben hatte ich mit 15? Ich weiß es nicht mehr.
Um diese Jahreszeit ist nichts los. Ein Angler sitzt auf der Promenade, neben sich einen Kaffeebecher. Kein Handy, keine Ablenkung. Wir beobachten ihn fasziniert.
Hätte ich damals geahnt, was für unglaublich 29 Jahre vor mir liegen - hätte ich das geglaubt? Selbst jetzt, als ich sie erlebt habe, und zurückblicke, kommt mir manches wie ein Traum vor. Ein Traum, in dem sich helle und dunkle Zeiten abwechseln. Ich zog viele Male um, lebte auf Spiekeroog, in Bamberg und Kairo, Berlin und Damaskus. Lernte das Handwerk des Schreibens und die arabische Sprache, bereiste viele Länder des Orients.
Der Tisch ist gedeckt mit griechischen Köstlichkeiten. Und schon sind alle glücklich und zufrieden.
Anna reißt mich aus meinen Gedanken. Die Kinder haben Hunger. Die Taverne von damals finde ich nicht mehr. Sie muss irgendwo auf der Promenade gewesen sein.
Dort, in diesem Laden, kaufte ich mir eine Taucherbrille. Ich weiß es noch ganz genau.
Meine Mama fragte, ob ich sie anprobieren darf. Die Dame sagte: No Mister, no trying. Please. Es war die beste Tauerbrille, die ich je hatte.
Wir setzen uns an einen schmalen Tisch auf dem Gehweg vor dem Café Synantisi. Takis betreibt es gemeinsam mit seinem Schwager. Wir ordern Wildgemüse, Fleisch-, Tomaten- und Zucchinibällchen, Pommes und eine große Portion griechisches Rührei. Als Takis die ersten Teller bringt, erzähle ich ihm von dem Urlaub vor 29 Jahren und unserer Reise. Auf dem Smartphone zeige ich ihm die Bilder aus dem Familienalbum.
Takis und ich - sind wir uns vor 29 Jahren schon einmal begegnet?
Er schluckt. Schweigt. “Darf ich das meinem Schwager zeigen?”, fragt er. Ich nicke und er verschwindet mit meinem Telefon im Inneren des Cafés. Als er zurückkommt, ist er in Gedanken, schüttelt leicht den Kopf. “29 Jahre…”, sagt er. “20 war ich damals…”
Ich betrachte den großen, schlanken Mann. Takis sieht müde aus und ein bisschen traurig. Was hat er in den vergangenen 29 Jahren erlebt? Was für Träume hatte er, als wir uns damals auf der Straße vielleicht begegnet sind?
Nachdenklich drehe ich das leere Weinglas in meiner Hand und schaue über den Tisch zu Anna, dann zu den Kindern, die auf dem Platz vor der Kirche spielen. Wovon auch immer ich damals geträumt habe - besser hätte es nicht kommen können.
Komme ich wieder? Wann? Und wer werde ich dann sein?