Holland - Der Kreis schließt sich
Wir rennen über den Deich. Über die Holzplanken, an den Dünen vorbei. Wind zerzaust unsere Haare, die Füße sinken im Sand ein. Und dann liegt sie vor uns. Die gute alte Nordsee. Unverändert. Grau-Blau. Leichte Wellen. In der Ferne die üblichen Containerschiffe, schwer beladen auf ihrem Weg nach Rotterdam oder Vlissingen. Da sind wir wieder nach elf Monaten Reisen, nach zahlreichen Abenteuern und aufregenden Begegnungen. Alles sieht aus wie immer. Und wir?
Derselbe Deich, derselbe Strand, dieselbe Nordsee. Das Außen ist das gleiche geblieben.
Sind wir noch die gleichen Menschen oder sind wir in den letzten elf Monaten andere geworden? Kann man das überhaupt, ein anderer werden? Oder leben wir nicht mittlerweile so, wie wir uns das immer erträumt haben? Frei vom durchgetakteten Alltag? Frei von irgendwelchen Verpflichtungen und Büroarbeit?
Wenn Patrick Fotos von sich aus der Vergangenheit anschaut, erkennt er sich nicht wieder. Blass sieht er aus, angespannt, müde. Und jetzt: Braungebrannt, langhaarig, lächelnd. “Ihr seht freier aus,” sagt Lotti zu uns bei einem Abendessen. “Die Augenringe sind weg.”
Bunt und frei, so fühlen wir uns nach diesem Jahr.
Wir essen Pommes in de Slagerij in Groede. Die besten von ganz Zeeland. Die fleißigen Menschen an der Friteuse haben keine Ahnung davon, dass wir vor fast einem Jahr das letzte Mal hier standen - da lag alles noch vor uns.
Wir essen Austern, Muscheln, Meeresspargel. Nach der schlechten Auswahl in Norwegen kommen uns die Supermärkte vor wie Paradiese. Und wir haben endlich wieder Fahrräder. Stundenlang radeln wir über die Deiche. Der Wind schiebt uns an, oder bläst uns ins Gesicht. Noch nie war Holland so schön wie in diesen zwei Wochen. Die Reise geht zu Ende, der Kreis schließt sich. Es fühlt sich richtig an, das Abenteuer in Zeeland zu beenden.
Wir haben Rückenwind. Auch was den Weg in die Zukunft angeht.
Und jetzt? Jetzt müssen wir uns entscheiden. Gehen wir zurück nach Bayern? Gehen wir zurück an die alten Schulen? Können wir die Kinder überhaupt guten Gewissens wieder dorthin zurückschicken? Auch sie sehen anders aus nach dem Jahr. Selbstbewusster, freier, aufrechter. Wollen wir sie wirklich dem bayerischen Druck aussetzen? Dem Auswendiglernen, dem sinnlosen Büffeln? Geht es beim Lernen nicht um etwas ganz anderes? Patrick und ich diskutieren und diskutieren.
Und eigentlich wissen wir die Antwort schon.
Zurück ins Normale wollen wir nicht. Aber alle paar Tage wieder ein- und auspacken auch nicht.