Woher kommt dieser ganze Kram?

Und dann ist die Kündigung für unser Haus abgeschickt. Bald darauf steht der Termin mit dem Umzugsunternehmen, das unsere Sachen einlagert. Nun gibt es endgültig kein Zurück mehr, nun tickt die Uhr.

Für die einen ist es ein absoluter Traum, für die anderen ein Ding der Unmöglichkeit: Hattet ihr nicht Angst? Wie übersteht ihr die Unsicherheit? So viel Mut habt ihr!

Abendstimmung in Bernried. Wir haben es doch so schön - warum dann dieses Fernweh?

Natürlich ist da Angst. Riesenangst. Aber gleichzeitig plagt uns die Furcht, es nicht zu wagen. Und die Erschöpfung, die sich einstellt, wenn wir nur an das weitermachen denken – Schulaufgaben, Proben, der Herbst mit seinen Infektionswellen, der Druck, als Freiberufler jederzeit verfügbar zu sein.

Fernweh…

Eher fürchten wir, uns in 20 Jahren zu fragen: Warum haben wir das eigentlich nicht gemacht? Wir leben in einem hübschen Haus mit Garten, haben Hühner und sind in der Nähe des Starnberger Sees. Wir haben alles -  und dennoch ist da dieser Traum, diese Sehnsucht, dieses innere Ziehen

In der Dorfbücherei haben wir alle Berichte über Familien verschlungen, die um die Welt ziehen. Von Frühstück mit Giraffen bis hin zu VW-Bussen voller Kinder, die abenteuerlich durch ferne Länder düsen. Das können wir doch auch. Und zwar jetzt. Der Kleine ist noch nicht in der Schule, die Große noch nicht in der Pubertät.

Das ist einer unserer liebsten Orte im Dorf. Werden wir ihn vermissen?

Natürlich gibt es Hürden. Wie zum Beispiel die Schule. Unsere beiden Töchter, acht und elf, einfach aus dem Unterricht abzuziehen? In Deutschland gibt es Schulpflicht, und die gilt seit über 300 Jahren. Dank Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. wurden die Kinder in die Schule geschickt, anstatt sie in der heimischen Firma schuften zu lassen. Eine tolle Idee, die uns nun aber das Leben schwer macht.

Anna arbeitet sich durch Paragrafen

Anna taucht in das bayerische Schulgesetz ein und durchforstet die Paragrafen, die unsere Europa-Reise rechtfertigen könnten. „Sind wir beruflich Reisende?“ fragt sie. „Nein“, sagt das Gesetz, „das sind nur Zirkusleute.“ Na wunderbar. Wir haben auch keine ernsthaften gesundheitlichen Einschränkungen. Irgendwann stößt sie auf eine goldene Regel: Ist in Bayern kein gewöhnlicher Aufenthalt mehr gegeben, erlischt die Schulpflicht. Jackpot!

Wir sprechen mit den Schulen: Die Grundschuldirektorin ist begeistert und würde am liebsten gleich mitreisen. Am Gymnasium ist man weniger euphorisch, denn so einen Fall gab es dort noch nie. Es braucht viel Überzeugungsarbeit und etliche E-Mails, bis unsere Große für ein Schuljahr befreit wird. Wir sind erleichtert.

Doch nun steht die nächste große Herausforderung an: Wir müssen unser Haus leerräumen.

Was packt man für ein Jahr ein?

Während andere für die Sommerferien packen, packen wir für ein ganzes Jahr. Frankreich, Spanien, Portugal und das restliche Europa warten auf uns. Und wir packen weniger als für einen Urlaub – alles überlegter. Jedes Kind bekommt einen kleinen Koffer als Handgepäck. Darin sind zwei kurze und zwei lange Hosen, fünf T-Shirts und zwei Pullover. Das reicht - zumindest in der Theorie.

Alles andere kommt in Kisten. Schließlich muss unsere Doppelhaushälfte in Bernried leer werden. Nach langem Hin und Her haben wir uns entschlossen, den Mietvertrag zu kündigen. Einen Untermieter fanden wir nicht – der Vermieter will im nächsten Jahr selbst einziehen. Warum also nicht gleich einen Schlussstrich ziehen?

Jetzt heißt es: alles raus schaffen. Das wird kein Zuckerschlecken. Aus Schubladen quellen Kinderzeichnungen und Legosteine, Regale biegen sich unter der Last von Büchern, und aus dem Keller kramen wir 70 Paar Kinderschuhe hervor. Wo kommt das alles her? Und wichtiger noch: Wo soll das alles hin?!

Auf Wiedersehen Vertrautes, willkommen Neues.

Wir suchen einen Lagerraum. Schließlich gibt es hier auf dem Land doch jede Menge Stadel. Aber die sind entweder belegt, vermietet oder einfach viel zu feucht. „Ihr habt doch einen Dachboden“, fragen wir die Nachbarn. „Voll.“ „Und euren Keller?“ „Feucht.“ Immer wieder dieselben Antworten, vermutlich weil alle genauso viel Krempel haben wie wir. Ein Freund hat die glorreiche Idee, einfach einen riesigen Container zu kaufen. Kostenpunkt: etwa 3000 Euro. Das lässt uns auch nicht gerade jubeln, wo soll das Ding denn hin?

Also geht’s zur Spedition im Nachbardorf, die bieten Lagerhaltung an. Um die Kosten im Rahmen zu halten, müssen und wollen wir uns von vielem trennen. Flohmarkt? Na klar! Wir stellen die besten Möbel auf die Terrasse – Antiquitäten, die Kommode Tisch von Oma. Die Kinder machen ihre eigene Verkaufsstation mit Spielzeug und Büchern. An dem heißen Wochenende verirrt sich kaum jemand in unseren Garten. Die Kinder verkaufen sechs Bücher und ein Spiel und sind enttäuscht.

Wir verkaufen und verschenken

Wir bieten die Möbel online auf mehreren Plattformen an. Einige Teile finden tatsächlich einen neuen Besitzer. Aber seltsame Anfragen kommen auch: „Hast du Militärdokumente aus dem Zweiten Weltkrieg?“ Ähm, nein. Das Haus will einfach nicht leer werden. Schließlich stellen wir viele Sachen an den Straßenrand und verschenken alles Mögliche – das läuft wie geschmiert. In den nächsten Tagen verschwinden auf diese Weise nach und nach alte Stühle, Spielzeug, zwei Fahrräder mit Platten. Sogar das Sparschwein, das wir für Spenden hingestellt haben, ist futsch!

Warum haben wir nur so viel angesammelt? Diese Frage stellen wir uns ständig und finden einfach keine Antwort. Nur eines steht fest: Nie wieder wollen wir so viel besitzen. Am Vorabend es Umzugs schließen wir um 23 Uhr den Deckel der letzten Kiste, wanken erschöpft ins Bett.

Endlich kommen am nächsten Morgen vier kräftige, nette Männer und nehmen unsere Sachen mit. Ohne all den Krempel fühlen wir uns leicht und frei. Das Abenteuer kann beginnen.

Auf nach Europa!






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Holland – Das Pommesabenteuer